Regierung plant die Weichsel zu „begradigen“
Ein Gespräch von Marcin Gerwin mit Dr. Marteusz Ciechanowski*, 16.05.2016
Das Niveau an Zerstörungen rangiert auf einer Ebene mit dem Bau der Umgehungsstraße durch die Rospuda-Aue oder der Ausweitung des Holzeinschlages im Bialowieża-Urwald. |
Marcin Gerwin: Die Regierung verkündet ihre Pläne, die untere
Weichsel von Warschau bis Gdansk für den Transportverkehr durchgängig zu machen.
Ist das aus Umweltschutz-Perspektive eine gute Idee?
Marteusz Ciechanowski: Das ist eine sehr schlechte Idee, von
den Konsequenzen deutlich gravierender als der Durchstich der Weichselnehrung. Das
ist das das Level an Zerstörungen wie die Umgehungsstraße durch die Rospuda-Aue
oder die Ausweitung der Abholzungen im Bialowieża-Urwald. Die Weichsel ist der
letzte der europäischen Ströme mit diesem Grad an Natürlichkeit. Einige
verwenden diesen Slogan, aber ich finde ihn etwas übertrieben: Die Weichsel ist
der letzte wilde Fluss in Europa. Ähnlich Flüsse sind kaum erhalten geblieben,
in dieser Größe ist er selbstverständlich einer der letzten. Ein
Wasserbauprojekt dieser Größe würde zu dem Verlust des jetzigen Charakters
führen. Außerdem ist sie auf diesem Abschnitt komplett durch das Natura 2000
Programm geschützt. Das ist also nicht nur ein Naturschutzproblem, sondern auch
ein rechtliches Problem.
Damit die Lastfähren Waren auf der Weichsel transportieren
können, ist eine Vertiefung des Flussbettes notwendig. Was ist daran eigentlich
schlecht?
Die Vertiefung ist verbunden mit der Beseitigung der
Sandbänke. Wenn die Fluss mäandriert bildet er Sandbänke, Inseln verschiedener
Sukzessionsstadien, angefangen bei dem blanken Sand bis zu Inseln mit
Weidengebüschen und Weichholzauwäldern. Das ist der Schlüssel der Biodiversität
der Weichsel, zumal auf den Inseln auch Wasservögel, wie Seeschwalben und
Regenpfeifer-Arten, brüten. Sie sind das Hauptschutzobjekt der
FFH-Vogelschutzgebiete. Der Verlust ihrer Lebensräume lässt sich nur sehr
schwer oder gar nicht kompensieren.
Damit die Weichsel eine Wasserstraße der angestrebten Klasse
werden kann, muss man sie salopp gesagt begradigen.
Man muss Buhnen bauen, die ein Mäandrieren verhindern, in
Folge dessen der Fluss ein gerader Kanal wird. Dagegen ist ein natürlicher Fluss
ein dynamisches System, der sich nicht in einem bestimmten Zustand einfrieren
und stabilisieren lässt. Mal entsteht die Sandbank hier, mal dort. Es entsteht
eine Insel und dann wird sie wieder vom Fluss weggespült. Es gibt auch
regelmäßige Hochwasser, die neue Sedimente mitbringen. Man kann nicht planen,
dass hier ein Weidengebüsch, hier eine Insel und hier eine nackte Sandbank mit
einer Regenpfeifer-Kolonie sein soll. So funktioniert das nicht. Ein
natürlicher Fluss arbeitet die ganze Zeit.
Durch den Bau des Staudammes in Wroclawek hat sich die
Geschwindigkeit der Sedimentation in der unteren Weichsel stark verlangsamt, da
sich die gesamte Sedimentfracht in dem unglückseligen Staubecken sammelt. Dabei
ist die Anspülung von Sedimenten essenziell für die Entwicklung der
flussbegleitenden Pflanzengemeinschaften, darunter auch die wertvollen Schwarzpappel-Weiden-Auwald,
der nur an einigen Standorten erhalten geblieben hat. Für die Vögel sind die
Auswirkungen des Ausbaus kaum auszumachen. Denn genau das, was den Wert der
Weichsel ausmacht, sind eben Vögel, die an Sandbänke, Strände, Inseln und an
die Flussdynamik und den Sand-Transport gebunden sind. Die Vögel bauen ihre Nester auf den
Sandbänken, weil sie dort geschützt sind vor Räubern. Wenn die Antwort darauf
die Verankerung einiger Schwimminseln wie bei Kwidzyn ist, so dass die
Regenpfeifer auf ihnen nisten können – was sie auch tun -, dann ist das nicht
ausreichend. Im Fall bestimmter Investitionen, wie Brücken, die entstehen
werden, müssen diese kompensiert werden. Jedoch kann man mit solchen
Kompensationen nicht ein ganzes dynamisches Fluss-Ökosystem ersetzen.
Sind nur die Vögel bedroht?
Die Entfernung der Sedimente bei der Vertiefung stellt auch
eine Gefahr für das dar, was unter Wasser lebt. In der Weichsel leben wertvolle
Fischarten wie Steinbeißer, Rapfen oder Neunaugen. Das Fluss-Neunauge hat in
der Weichsel seine Laichplätze. Es gehört zu den sehr seltenen Arten, die in
der Polnischen Roten Liste aufgeführt ist. In der Weichsel kann es sich
reproduzieren.
Für die Wasserstraße sind zusätzliche Staudämme notwendig.
Teilweise erklärt sich das aus der Unterstützung des Staudamms in Wroclawek,
die bereits Altersschwächen zeigt und eine Hochwassergefahr sowie ein Baurisiko
darstellt. Besser wäre es diesen Damm abzureißen, die toxischen Sedimente, die
sich über Jahre dort abgesetzt haben, zu entnehmen und die Staustufe komplett
zu entfernen. Wenn wir jedoch eine Wasserstraße bauen, werden viele dieser
Kaskaden erforderlich sein.
Regulierte Flüsse besitzen eine zwei- bis dreimal geringere Fischartenvielfalt
im Vergleich zu unregulierten Flüssen. Die Weichsel hat gegenwärtig eine ziemlich
reiche Fischfauna.
Auch die im Wasser lebenden Wirbellosen sind gefährdet. Die
allergefährdetsten Eintagsfliegen in Europa, sind keine Insekten, die an
saubere Bergbächen gebunden sind, sondern Arten der Tieflandsflüsse mit einer
sandigen Sohle. Das betrifft auch die Eintagsfliegen. Viele der Arten sind in
Polen bereits ausgestorben. Die Unterläufe der Flüsse sind in Europa am meisten
bedroht, da sie am stärksten verändert worden sind. In den Bergen gibt es
hingegen noch viele sauerstoffreiche, saubere Bäche. Mit ihnen gibt es kein Problem.
Das Problem sind die Flussunterläufe. In Europa gibt es sie kaum noch, da fast
alle großen Ströme reguliert und begradigt sind und keinen natürlichen Charakter
mehr aufweisen. Arten, die an sandige Sohlen der Flüsse gebunden sind, sterben
dann aus. Auch in Polen ist eine Reihe von Eintagsfliegen-Arten ausgestorben
oder wir können sie als nächstes verlieren.
Du hast auch die Libellen erwähnt.
Was die Libellen der Tieflandsflüsse, wie die Keiljungfer,
betrifft, kommen Entomologen aus ganz Westeuropa um ihr massiges Schlüpfen an
polnischen Flüssen, wo Tausende Exemplare fliegen, zu beobachten. Ihre Larven
entwickeln sich in der sandigen Sohle in den Unterläufen der Flüsse. Im Westen
gibt es sie nicht mehr. Einige Flüsse sind einfach vollkommen kanalisiert, wie Teile
des Rheins.
Die EU-Richtlinien regen jedoch dazu an, Waren über die
Flüsse zu transportieren.
Die Logik der EU-Richtlinien funktioniert so, dass zuerst
gewaltige Mittel ausgegeben werden, um Flüsse unter dem Vorwand der
Binnenschifffahrt oder des Hochwasserschutzes zu zerstören, und danach wird
versucht für ebenso viel Geld die gleichen Flüsse wieder zu renaturieren. Es
gibt sogar hydrotechnische Methoden zur Wiederherstellung von Mäandern. Es
entstehen ganze Lehrbücher zu diesem Thema. Es würde einfach ausreichen die
Flüsse nicht zu zerstören.
Aus dem Westen kommen Leute und schauen sich in Warschau die
Weichholzauen an, also flussnahe Wälder im Deichvorland, die jedes Jahr überschwemmt
werden. Sie fragen wie viel die Wiederherstellung bei uns gekostet hat?
Dann fragen Leute aus Polen zurück, aber welche Wiederherstellung?
Es war doch immer hier. Wir haben es noch nicht geschafft sie zu zerstören,
aber wir haben das ganz bald vor, weil wir alles so haben wollen, wie ihr.
Überzeugt Dich das nicht, dass der Wassertransport
ökologischer sein kann als der Straßentransport? Vielleicht wäre es in der
Gesamtbilanz besser, wenn der Transport zu größeren Teilen über das Wasser als
mit LKWs über Land erfolgt?
Ökologisch ist auch der Schienentransport, und das
Schienennetz haben wir schon. Es würde ausreichen, es zu modernisieren, um es
leistungsfähiger zu machen. Auf Zügen kann man auch LKWs transportieren. Es ist
die bessere Lösung, weil dafür keine zusätzlichen Naturzerstörungen
erforderlich sind. Allerdings können wir im Fall der Weichsel einen außergewöhnlichen
Fluss von hohem natürlichen Wert zerstören. Es ist ein Fluss, der von den
Menschen genutzt wird, Menschen wohnen an ihm, im Deichvorland befinden sich
Weiden und Wiesen. Es ist also kein klassisches Rückzugsgebiet wilder Natur
oder das einzige gut erhaltene Durchströmungsmoor westlich des Urals, wie im
Fall der Rospuda. Jedoch ist die Weichsel trotzdem ein außergewöhnlich
wertvoller Fluss im europäischen Maßstab.
*Dr. Mateusz Ciechanowski – wiss. Mitarbeiter des Lehrstuhls
für Ökologie und Zoologie der Wirbellosen an der Danziger Universität.
Der Artikel kann auf polnisch nachgelesen werden unter:
http://m.krytykapolityczna.pl/artykuly/gospodarka/20160516/rzad-planuje-wyprostowac-wisle
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