Freitag, 27. Mai 2016


Umweltministerium: Wir haben mit der Rettung der prioritären Lebensräume* im Bialowieza-Urwald begonnen


Polski Agencja Prasowa (PAP), 24.05.16
*gemeint sind die Biotoptypen, die nach der FFH-Richtlinie europaweit geschützt sind (PV)





Wir haben den Prozess zur Rettung der prioritären Lebensräume im Bialowieza-Urwald begonnen, die „Schutzaufgaben“ werden auf 2/3 der Fläche der Förstereien des Bialowieza-Urwalds durchgeführt – gab am Mittwoch der Umweltminister Jan Szyszko bekannt.

„Sofern man ein krankes Organ hat, muss man es entfernen, deshalb, um zu überleben. Das ist sicherlich etwas komplizierter in Natursystemen, aber genau so wird es gehandhabt in Bereich der Wälder, die den Schutzaufgaben unterzogen werden“ – sagte Szyszko auf der Pressekonferenz. Wie er betonte, sei das Hauptziel der „Schutzaufgaben“ (Pflegehiebe und Neupflanzungen – PAP) der Schutz der für die EU prioritären Lebensräume in den Natura 2000 Gebieten.
[Die Schutzaufgaben sind in dem Bewirtschaftungsplan für Natura 2000 Gebiete festgeschrieben. Er entspricht dem Managementplan in Brandenburg]

Der Minister betonte, dass der Bialowieza-Urwald ein Naturunikat auf Weltniveau darstellt. Er überzeugte, dass der Urwald „ ein Werk aus menschlicher Hand, ein Werk der lokalen Bevölkerung, ein Werk der polnischen Forstschule“ sei. Nach seiner Meinung, gelang es eben durch die entsprechende Bewirtschaftung wertvolle Natur-Schätze zu erhalten und auch Natura 2000 Gebiete auszuweisen.

Der Chef des Umwelt-Ressort urteilt, dass durch falsche politische Entscheidungen der vorherigen Regierung, die auf „Unterlassung von wirtschaftlichen Tätigkeiten zur Unterstützung des Natursystems“ basierten (Entscheidung zur Verringerung der Holzentnahmen im Urwald – PAP). Sie führte zum massenhaften Absterben von Bäumen und folglich dadurch auch zur Degradation von für die EU wertvollen Lebensraumtypen und Arten.

Szyszko versicherte, dass die durchgeführten Schutzmaßnahmen zur Bremsung dieses Prozesses beitragen werden. Er betonte, dass das „den Grundsätzen von Natura 2000 entspricht". Der Minister erklärt weiter, dass die Maßnahmen ausschließlich auf 2/3 der Fläche der Förstereien Hajnówka, Browsk und Białowieża durchgeführt werden. Sie werden jedoch weder den Nationalpark, noch die so genannten Referenzflächen der Förstereien umfassen (1/3 der Fläche der Urwald-Förstereien). Auf diesen Flächen muss – nach Ankündigung des Ressorts – die Natur selbst sehen wie sie unter anderem mit dem Massenvorkommen des Buchdruckers klarkommt.

Tomaszewski: Als erstes werden die Touristen-Routen gesichert

Der Generaldirektor der Staatsforsten Konrad Tomaszewski erklärte auf der Konferenz, dass aus Rücksicht auf das nahende lange Wochenende sowie der Feriensaison, als erstes die Touristen-Routen „gesichert“ werden. Es geht um die Entfernung umsturzgefährdeter Bäume (die vorher durch den Buchdrucker befallen wurden – PAP) aus dem Umgebung solcher Routen.

Tomaszewski urteilte auch, dass der Streit um den Bialowieza-Urwald, zur Art und Weise seines Schutzes, ein „ideologischer Streit“ sei. Den „Anhängern des Ökozentrismus“ nach - überzeugt er - sollte man nichts in der Natur machen und sie sich selbst überlassen. Der Direktor ist hingegen der Meinung, dass sie nicht den menschlichen Faktor berücksichtigen, der z.B. durch die Erzeugung von Luftverschmutzung auf die natürliche Umwelt Einfluss nimmt.

„Als Förster in über 40-jährigem Dienst meine ich, dass es keine Möglichkeit zur Instandhaltung der biologischen Natürlichkeit einer Landschaft außer dem (aktiven - PAP) Naturschutz gibt. Man kann nicht auf dem Standpunkt des Ökozentrismus pochen, weil das – und das sehen wir nach der Inventarisierung des Urwaldes – zur Denaturalisierung führt. Aber die Konzeption von Natura 2000 ist auf die Erhaltung der Ursprünglichkeit der Landschaft ausgerichtet“ – fügt der Chef der Staatsforsten hinzu.

Der Vize-Umweltminister, der auch auf der Konferenz anwesend war, versicherte, dass alle Informationen zum Thema des Urwaldes, zu den durchgeführten Arbeiten, auf der Internetseite des Ministeriums publiziert werden.

Der Minister Szyszko teilte auf Anfrage über den Dialog mit der EU-Kommission und der UNESCO zum Thema des Managementplans mit, dass eine Delegation der UNESCO unser Land Anfang Juni (4-8. Juni) besuchen wird. Er fügte hinzu, dass er auch Gespräche mit der Kommission führen wird.

Die Kommission kündigt rechtliche Schritte in Zusammenhang mit der Ausweitung der Abholzung im Bialowieza-Urwald an

Am Montag gab die Europäische Kommission bekannt, dass sie die Antworten von polnischer Seite in Bezug auf die Entscheidung zur Ausweitung des Holzeinschlages im Bialowieza-Urwald analysiert und die Einleitung von rechtlichen Schritten gegen unser Land nicht ausschließt. Der Minister ist der Meinung, dass wir sicher zu einer Übereinkunft mit der Kommission kommen werden,

Während der Konferenz demonstrierte vor dem Gebäude des Umweltministeriums eine kleine Gruppe von Greenpeace-Aktivisten, die sich gegen die Ausweitung der Abholzung stellen. „Der Bialowieza-Urwald ist unser herrlichster Naturschatz. Das versteht die ganze Welt, es wird Zeit, dass auch das Umweltministerium das versteht. Abholzung ist gar keine Lösung, es ist Zerstörung“ – sagt Katarzyna Jagiełło von Greenpeace Polska.

Greenpeace: Holzfällungen sind meistens der Vorwand für größere Holzentnahmen

Sie unterstrich, dass die Organisation nicht gegen Baum-Fällungen ist, die eine Gefahr für Touristen auf den Wanderwegen darstellen. Sie wies darauf hin, dass in Übereinstimmung mit dem von Greenpeace erstellten Rapport, solche Fällungen oft als Vorwand genutzt werden um größere Mengen Holz zu ernten.
Sie stimmte nicht der Argumentation des Chefs des Umweltministeriums überein, dass die Maßnahmen im Urwald mit dem EU-Recht vereinbar seien. Sie erinnerte daran, dass in dieser Angelegenheit sieben Nichtregierungsorganisationen bei der Europäische Kommission Klage eingereicht haben. Sie zeigen darin, dass die Entscheidung für die Fällungen gegen die EU-Habitat-Richtlinie verstößt, nach der Unternehmungen die wesentlichen Einfluss auf ein Natura 2000 Gebiet haben, die Durchführung einer speziellen Bewertung verlangt.

„Das Ressort gibt immer neue und weitere Ursachen für die Ausweitung der Abholungen an. Wir haben von dem Borkenkäfer gehört. Jetzt spricht man immer weniger davon, und mehr über die Sicherheit auf den Touristenpfaden. Man muss jedoch darauf hinweisen, dass der Großteil der Fällungen, die das Umweltministerium plant, sich in Bereich der Hartholzaue befinden, die kein gefährdeter Lebensraumtyp darstellt“ – fügt Jagiełło hinzu.

Ähnliches behauptet die Organisation ClientEarth.

„Erschreckend ist, dass der Minister nach wie vor das EU-Recht dazu benutzt, um die Fällungen zu rechtfertigen. Am Montag hat in Brüssel ein Vertreter der Kommission offiziell behauptet, dass die Kommission unsere Meinung teilt, dass der ausgeweitete Holzeinschlag nicht konform mit EU-Recht ist, wenn keine Verträglichkeitsuntersuchung für die geschützten Arten und Habitate durchgeführt worden ist. Die Verhandlung des Falls vor dem Europäischen Gerichtshof wird leider immer realer“ – beurteilt Agata Szafraniuk, Juristin von ClientEarth.

Der Streit um den Urwald nahm immer mehr Fahrt auf, seitdem Ende März der Umweltminister den Annex zum Waldbewirtschaftungsplan für die Försterei Bialowieza bestätigt hat. Dieser sieht größere Fällungen vor, begründet mit dem Kampf gegen das Massenauftreten des Borkenkäfers an den Fichten. Der Annex sieht die Vergrößerung der Holzentnahme auf 188.000 Festmeter (m³) innerhalb von 10 Jahren (2012-2021) vor. Der alte Plan sah die Entnahme von über 63,400 Festmetern Holz innerhalb von 10 Jahren vor.

Diese Entscheidung rief einen Einspruch bei Teilen von wissenschaftlichen und ökologischen Organisationen hervor, die überzeugt sind, dass eine Vergrößerung des Holzeinschlages unnötig ist und die Borkenkäfer-Kalamität ein natürlicher Prozess sei. Ökologen fordern auch, dass der gesamte Urwald den Schutzstatus des Nationalparks erhält. (PAP)

Den Originalartikel auf polnisch kann man nachlesen unter:


Der Minister gibt die Ausführung des Urteils zum Bialowieza-Urwald bekannt

WWF, 25.05.16

Alles deutet darauf hin, dass der Minister die Umsetzung des Urteils über den Urwald verkündet hat! Das Parole „Wir retten die prioritären Lebensräume im Bialowieza-Urwald“, klingt im Munde des Ministers sehr grauenvoll, denn wenn man seinen Ankündigungen glaubt, bedeutet die Rettung ein intensiver Holzeinschlag – alarmiert die Umweltorganisation WWF Polska.

Der Minister Jan Szyszko verkündet wesentliche Informationen über den Urwald gewöhnlich sehr unklar – sagt Dariusz Gatkowski vom WWF Polska. – Auf diese Weise lässt sich die öffentliche Meinung am leichtesten irreführen. So ist es auch dieses Mal. Auf der Seite des Umweltministeriums lesen wir die folgende Worte: „Wir retten die prioritären Lebensräume im Bialowieza-Urwald!“. In der Sprache der Wissenschaftler und Umweltschützer hieße das im Falle eines solch wertvollen Waldökosystems, die Unterlassung von Baumfällungen. In der Deklaration des Ministeriums geht es um das nackte Gegenteil. Der Minister ist in entschiedener Opposition zu dem Wissenschaftswerk von Generationen von Polen, die die Arten und ablaufenden Prozessen im Bialowieza-Urwald erforschen. Folglich klingt es in der Sprache des Ministers wie ein Urteil über den Urwald.

In den Informationen auf der Internetseite lesen wir auch, dass: „die Maßnahmen zur Rettung der wertvollen prioritären Lebensräume unverzichtbar für die Europäische Gemeinschaft ist. Die Maßnahmen sind angelehnt an die Grundsätze des ‚Managementplans für das Natura 2000 Gebiet Bialowieza-Urwald‘“. Im Managementplan für das Natura 2000 Gebiet lesen wir, dass die Gefahren für Teile der Schutzobjekte dieses Gebietes die Maßnahmen sind, die der Umweltminister gerade plant.



Schutzobjekt
Ausgewählte Gefährdungen (existierende oder potenzielle)
9170 subkontinentaler Hartholzauwald Entfernung von toten und sterbenden Bäumen
Waldwirtschaft und Forstwirtschaft, Nutzung des Waldes und des Forstes
A217 Sperlingskauz Waldfällungen
Entfernung toter und sterbender Bäume
A223 Rauhfußkauz Entfernung toter und sterbender Bäume
A239 Weißrückenspecht Entfernung toter und sterbender Bäume
A241 Dreizehenspecht Entfernung toter und sterbender Bäume
2647 Wisent Unkontrolliertes Aufscheuchen
1086 Spanische Flagge Entfernung toter und sterbender Bäume
1920 Käfer Waldfällungen
Entfernung toter und sterbender Bäume
1925 Käfer Entfernung toter und sterbender Bäume


Genau die Lebensräume und Arten, die das Schutzobjekt des Natura 2000 Gebietes „Bialowieza-Urwald“ darstellen sind durch Fällung und Entfernung von toten und sterbenden Bäumen gefährdet. Wenn der Minister sie wirklich in einem guten Zustand behalten möchte, sollte er nicht die Holzentnahmen vergrößern.

Wird der Minister Szyszko die Schutzgüter des Natura 2000 Gebietes „Bialowieza-Urwald“ gemäß dem Managementplan schützen? Hat er den größten Wissenschaftsautoritäten zugehört, die den Fällungen widersprechen? Wird er sich an das EU-Recht und die Übereinkunft mit der UNESCO halten? Die Informationen auf der Ministeriumsseite zeigen, dass die Antwort auf all die Fragen „nein“ lautet.

WWF Polska nimmt die Position ein, dass der gesamte Bialowieza-Urwald als Nationalpark geschützt werden sollte.

Den Originalartikel auf polnisch kann man nachlesen unter:

Mittwoch, 25. Mai 2016

Regierung plant die Weichsel zu „begradigen“

Ein Gespräch von Marcin Gerwin mit Dr. Marteusz Ciechanowski*, 16.05.2016

Das Niveau an Zerstörungen rangiert auf einer Ebene mit dem Bau der Umgehungsstraße durch die Rospuda-Aue oder der Ausweitung des Holzeinschlages im Bialowieża-Urwald.

Marcin Gerwin: Die Regierung verkündet ihre Pläne, die untere Weichsel von Warschau bis Gdansk für den Transportverkehr durchgängig zu machen. Ist das aus Umweltschutz-Perspektive eine gute Idee?

Marteusz Ciechanowski: Das ist eine sehr schlechte Idee, von den Konsequenzen deutlich gravierender als der Durchstich der Weichselnehrung. Das ist das das Level an Zerstörungen wie die Umgehungsstraße durch die Rospuda-Aue oder die Ausweitung der Abholzungen im Bialowieża-Urwald. Die Weichsel ist der letzte der europäischen Ströme mit diesem Grad an Natürlichkeit. Einige verwenden diesen Slogan, aber ich finde ihn etwas übertrieben: Die Weichsel ist der letzte wilde Fluss in Europa. Ähnlich Flüsse sind kaum erhalten geblieben, in dieser Größe ist er selbstverständlich einer der letzten. Ein Wasserbauprojekt dieser Größe würde zu dem Verlust des jetzigen Charakters führen. Außerdem ist sie auf diesem Abschnitt komplett durch das Natura 2000 Programm geschützt. Das ist also nicht nur ein Naturschutzproblem, sondern auch ein rechtliches Problem.

Damit die Lastfähren Waren auf der Weichsel transportieren können, ist eine Vertiefung des Flussbettes notwendig. Was ist daran eigentlich schlecht?

Die Vertiefung ist verbunden mit der Beseitigung der Sandbänke. Wenn die Fluss mäandriert bildet er Sandbänke, Inseln verschiedener Sukzessionsstadien, angefangen bei dem blanken Sand bis zu Inseln mit Weidengebüschen und Weichholzauwäldern. Das ist der Schlüssel der Biodiversität der Weichsel, zumal auf den Inseln auch Wasservögel, wie Seeschwalben und Regenpfeifer-Arten, brüten. Sie sind das Hauptschutzobjekt der FFH-Vogelschutzgebiete. Der Verlust ihrer Lebensräume lässt sich nur sehr schwer oder gar nicht kompensieren.

Damit die Weichsel eine Wasserstraße der angestrebten Klasse werden kann, muss man sie salopp gesagt begradigen.

Man muss Buhnen bauen, die ein Mäandrieren verhindern, in Folge dessen der Fluss ein gerader Kanal wird. Dagegen ist ein natürlicher Fluss ein dynamisches System, der sich nicht in einem bestimmten Zustand einfrieren und stabilisieren lässt. Mal entsteht die Sandbank hier, mal dort. Es entsteht eine Insel und dann wird sie wieder vom Fluss weggespült. Es gibt auch regelmäßige Hochwasser, die neue Sedimente mitbringen. Man kann nicht planen, dass hier ein Weidengebüsch, hier eine Insel und hier eine nackte Sandbank mit einer Regenpfeifer-Kolonie sein soll. So funktioniert das nicht. Ein natürlicher Fluss arbeitet die ganze Zeit.
Durch den Bau des Staudammes in Wroclawek hat sich die Geschwindigkeit der Sedimentation in der unteren Weichsel stark verlangsamt, da sich die gesamte Sedimentfracht in dem unglückseligen Staubecken sammelt. Dabei ist die Anspülung von Sedimenten essenziell für die Entwicklung der flussbegleitenden Pflanzengemeinschaften, darunter auch die wertvollen Schwarzpappel-Weiden-Auwald, der nur an einigen Standorten erhalten geblieben hat. Für die Vögel sind die Auswirkungen des Ausbaus kaum auszumachen. Denn genau das, was den Wert der Weichsel ausmacht, sind eben Vögel, die an Sandbänke, Strände, Inseln und an die Flussdynamik und den Sand-Transport gebunden sind.  Die Vögel bauen ihre Nester auf den Sandbänken, weil sie dort geschützt sind vor Räubern. Wenn die Antwort darauf die Verankerung einiger Schwimminseln wie bei Kwidzyn ist, so dass die Regenpfeifer auf ihnen nisten können – was sie auch tun -, dann ist das nicht ausreichend. Im Fall bestimmter Investitionen, wie Brücken, die entstehen werden, müssen diese kompensiert werden. Jedoch kann man mit solchen Kompensationen nicht ein ganzes dynamisches Fluss-Ökosystem ersetzen.

Sind nur die Vögel bedroht?

Die Entfernung der Sedimente bei der Vertiefung stellt auch eine Gefahr für das dar, was unter Wasser lebt. In der Weichsel leben wertvolle Fischarten wie Steinbeißer, Rapfen oder Neunaugen. Das Fluss-Neunauge hat in der Weichsel seine Laichplätze. Es gehört zu den sehr seltenen Arten, die in der Polnischen Roten Liste aufgeführt ist. In der Weichsel kann es sich reproduzieren.
Für die Wasserstraße sind zusätzliche Staudämme notwendig. Teilweise erklärt sich das aus der Unterstützung des Staudamms in Wroclawek, die bereits Altersschwächen zeigt und eine Hochwassergefahr sowie ein Baurisiko darstellt. Besser wäre es diesen Damm abzureißen, die toxischen Sedimente, die sich über Jahre dort abgesetzt haben, zu entnehmen und die Staustufe komplett zu entfernen. Wenn wir jedoch eine Wasserstraße bauen, werden viele dieser Kaskaden erforderlich sein.

Regulierte Flüsse besitzen eine zwei- bis dreimal geringere Fischartenvielfalt im Vergleich zu unregulierten Flüssen. Die Weichsel hat gegenwärtig eine ziemlich reiche Fischfauna.

Auch die im Wasser lebenden Wirbellosen sind gefährdet. Die allergefährdetsten Eintagsfliegen in Europa, sind keine Insekten, die an saubere Bergbächen gebunden sind, sondern Arten der Tieflandsflüsse mit einer sandigen Sohle. Das betrifft auch die Eintagsfliegen. Viele der Arten sind in Polen bereits ausgestorben. Die Unterläufe der Flüsse sind in Europa am meisten bedroht, da sie am stärksten verändert worden sind. In den Bergen gibt es hingegen noch viele sauerstoffreiche, saubere Bäche. Mit ihnen gibt es kein Problem. Das Problem sind die Flussunterläufe. In Europa gibt es sie kaum noch, da fast alle großen Ströme reguliert und begradigt sind und keinen natürlichen Charakter mehr aufweisen. Arten, die an sandige Sohlen der Flüsse gebunden sind, sterben dann aus. Auch in Polen ist eine Reihe von Eintagsfliegen-Arten ausgestorben oder wir können sie als nächstes verlieren.

Du hast auch die Libellen erwähnt.

Was die Libellen der Tieflandsflüsse, wie die Keiljungfer, betrifft, kommen Entomologen aus ganz Westeuropa um ihr massiges Schlüpfen an polnischen Flüssen, wo Tausende Exemplare fliegen, zu beobachten. Ihre Larven entwickeln sich in der sandigen Sohle in den Unterläufen der Flüsse. Im Westen gibt es sie nicht mehr. Einige Flüsse sind einfach vollkommen kanalisiert, wie Teile des Rheins.

Die EU-Richtlinien regen jedoch dazu an, Waren über die Flüsse zu transportieren.

Die Logik der EU-Richtlinien funktioniert so, dass zuerst gewaltige Mittel ausgegeben werden, um Flüsse unter dem Vorwand der Binnenschifffahrt oder des Hochwasserschutzes zu zerstören, und danach wird versucht für ebenso viel Geld die gleichen Flüsse wieder zu renaturieren. Es gibt sogar hydrotechnische Methoden zur Wiederherstellung von Mäandern. Es entstehen ganze Lehrbücher zu diesem Thema. Es würde einfach ausreichen die Flüsse nicht zu zerstören.
Aus dem Westen kommen Leute und schauen sich in Warschau die Weichholzauen an, also flussnahe Wälder im Deichvorland, die jedes Jahr überschwemmt werden. Sie fragen wie viel die Wiederherstellung bei uns gekostet hat?
Dann fragen Leute aus Polen zurück, aber welche Wiederherstellung? Es war doch immer hier. Wir haben es noch nicht geschafft sie zu zerstören, aber wir haben das ganz bald vor, weil wir alles so haben wollen, wie ihr.

Überzeugt Dich das nicht, dass der Wassertransport ökologischer sein kann als der Straßentransport? Vielleicht wäre es in der Gesamtbilanz besser, wenn der Transport zu größeren Teilen über das Wasser als mit LKWs über Land erfolgt?

Ökologisch ist auch der Schienentransport, und das Schienennetz haben wir schon. Es würde ausreichen, es zu modernisieren, um es leistungsfähiger zu machen. Auf Zügen kann man auch LKWs transportieren. Es ist die bessere Lösung, weil dafür keine zusätzlichen Naturzerstörungen erforderlich sind. Allerdings können wir im Fall der Weichsel einen außergewöhnlichen Fluss von hohem natürlichen Wert zerstören. Es ist ein Fluss, der von den Menschen genutzt wird, Menschen wohnen an ihm, im Deichvorland befinden sich Weiden und Wiesen. Es ist also kein klassisches Rückzugsgebiet wilder Natur oder das einzige gut erhaltene Durchströmungsmoor westlich des Urals, wie im Fall der Rospuda. Jedoch ist die Weichsel trotzdem ein außergewöhnlich wertvoller Fluss im europäischen Maßstab.

*Dr. Mateusz Ciechanowski – wiss. Mitarbeiter des Lehrstuhls für Ökologie und Zoologie der Wirbellosen an der Danziger Universität.

Der Artikel kann auf polnisch nachgelesen werden unter: 
http://m.krytykapolityczna.pl/artykuly/gospodarka/20160516/rzad-planuje-wyprostowac-wisle


Montag, 9. Mai 2016

Die neuen Pläne der Regierung kündigen schwere Zeiten an...



Containerschiffe steuern Häfen an?

Paweł Wojciechowski
Aus der Zeitung Wyborcza vom 15.04.2016

Das Regierungsprogramm der Schiffbarmachung der Hauptwasserstraßen in Polen sieht unter anderem eine Modernisierung der unteren Weichsel von Warschau bis Danzig vor. Das ist nicht nur eine Chance zur Entwicklung des Wassertourismus, sondern vor allem auch zur Verbesserung des Geschäfts der Seehäfen.

So sieht es an vielen Orten an der unteren Weichsel aus. Sandbänke und Untiefen machen eine Schifffahrt unmöglich.



Am Montag verkündete Marek Gróbarczyk, Minister für Meereswirtschaft und Binnenschifffahrt (GMiŻŚ), in Wroclaw, dass die Regierung eine gigantische Investition zur Schaffung von Wasserautobahnen im Rahmen des Programms zur Entwicklung der Binnenwasserstraßen bis 2020, mit Perspektive bis 2030, plant. Es geht um die Schiffbarmachung der polnischen Teile von drei internationalen Verkehrwegen, die die UN- Konvention über die Hauptbinnenwasserstraßen von internationaler Bedeutung (AGN) festgelegt hat.

Wasserautobahnen
Die erste Trasse (E-30) verbindet die Ostsee mit der Donau und auf polnischem Gebiet umfasst sie die Oder von Świnoujście bis zur tschechischen Grenze. Die zweite Trasse, die besondere Bedeutung für die Region Pommern hat, ist die E-40. Sie verbindet die Ostsee von Gdansk mit dem Dnepr in der Region Tschernobyl und verläuft über Kiev, Nowa Kachowka und Cherson bis zum Schwarzen Meer. In unserem Land umfasst sie die Weichsel von Gdansk bis Warschau, die Narew und den Bug bis Brześć. Die dritte Trasse (E-70) verbindet Holland mit Russland und Litauen. In Polen führt sie über die Oder von der Mündung des Oder-Havel-Kanals bis zur Warthe in Kostrzyn, sie verbindet die Wasserwege der Weichsel und Oder und von Bydgoszcz die Unteren Weichsel mit der Szkarpawa oder der Danziger Weichsel.
Jerzy Materna, Vizeminister des GMiŻŚ verkündete, dass die Realisierung dieses Plans ungefähr 15 Jahre dauern wird.
- Vor allem geht es um die Anpassung dieser Wasserstraßen an die Parameter der Schiffbarkeitsklasse IV – sagt der Minister Gróbarczyk.
Das bedeutet, dass die Trassen zugänglich werden für Einheiten von 85 m Länge und 9,5 m Breite, zwischen 2,5 bis 4,5 m Tiefgang und einer Tragfähigkeit von 1250-2500 t. Der Plan setzt voraus, dass die wichtigsten Seehäfen (Danzig, Gdynia und Elblag) eine funktionierende Anbindung an die Binnenwasserwege besitzen. Gegenwärtig ist der Anteil der Binnentransportschifffahrt mit allen Transportzweigen vernachlässigbar gering im Vergleich zu anderen europäischen Ländern und beträgt weniger als 1%. Im Vergleich dazu liegt er in Holland bei 42%, Belgien bei 15%, Bulgarien bei 14% und in Deutschland bei 12%.

Zuerst die Oder, dann die Weichsel
An erster Stelle plant die Regierung die Oder-Schifffahrtsstraße zwischen Szczecin und Wroclaw schiffbar zu machen.
- Die Oder-Wasserstraße stellt hier das Zentrum des Interesses dar und bildet eine reale 4-jährige Aufgabe, die sich realisieren lässt – verkündete Minister Gróbarczyk.
Das heißt jedoch nicht gleich die Einführung der 4. Navigationsklasse. Die Schifffahrt verlangt in erster Linie die Beseitigung der Engpässe im Flussbett, den Bau der Verbindung Donau-Oder-Elbe und den Bau des Schlesischen Kanals.
Die zweite Priorität bei der Programmumsetzung hat die Verbesserung der Navigationsbedingungen auf der Weichsel, was den Bau von Kaskaden im mittleren und unteren Verlauf von Warschau bis Danzig erfordert. Es ist interessant daran zu erinnern, dass diese Route im 17. Jhd., gemessen an den Warenumschlag in Danziger Hafen, einer der wichtigsten Wirtschaftswasserwege nicht nur in Polen, sondern in Europa war.

Es profitieren die Seehäfen    
Gegenwärtig besitzt der Weichsel-Wasserstraße in Abhängigkeit von dem Abschnitt verschiedene Navigationsklassen, die es größeren Einheiten nicht ermöglichen die ganze Route zu befahren.
Auf der ganzen Länge der Weichsel zwischen Warschau und Danzig erfüllt lediglich der Abschnitt zwischen Plock und Wroclawek sowie die Tote Weichsel die Parameter der internationalen Schifffahrt – sagt Rafał Wasil, der Koordinator des Teams zuständig für Wasserwege im Marschallamt in Danzig. – Die Wiederherstellung der Schiffbarkeit ist sehr essentiell aus Sicht der Seehäfen. Bei den gegenwärtigen Plänen für den Umbau des Terminals DST, könnte in naher Zukunft der Warentransport nur auf dem Schienen- und dem Straßenweg problematisch werden und der Wassertransport wäre eine hervorragende Alternative. An den Wasserwegen entstünden Logistikzentren, ähnlich wie in westlichen Ländern, z.B. auf dem Rhein, wo Container, die nach Rotterdam und Antwerpen fahren, umgeladen werden. Die Weichsel hat dasselbe Potential – sagt Wasil.

Ein Schiff sind 30 LKWs
In der Schifffahrtsklasse IV kann ein Schiff ca. 200 Container laden. Ein mittelgroßes Schiff des Typs „Europa“ mit 80 m Länge kann eine Ladung, die auf 30 LKWs passt würde, transportieren. Nach Regierungsexperten kann schon nach der Modernisierung des ersten Abschnittes der unteren Weichsel die Ladefracht der Binnenschifffahrt 7,8 Mio. t betragen, in Abhängigkeit von den Seehäfen.
Die Schiffbarmachung von Flüssen besteht in die Schaffung von Regulierungsbauwerken. Gegenwärtig ist die Mehrheit der den Flussverlauf steuernden Bühnen zerstört.
- Deshalb fließt der Fluss in Mäandern und wird nicht in die Mitte des Bettes gelenkt. Dadurch bilden sich Sandbänke, die durch ihre Verflachung ein Hindernis für die Schifffahrt darstellen. Eine der Varianten des Programms ist die Kaskadierung des Flusses, also der Bau von Staustufen und Speicherbecken alle 20-30 km sowie die Vertiefung des Flussbettes – erklärt Wasil.
Die Entwicklung des Tourismus wird ein weiterer Vorteil dieser Investition für Pommern sein. – Gegenwärtig kann der Tourismus sich nicht voll entfalten, obwohl er sich sukzessive entwickelt. Die Schiffbarmachung verbindet sich mit dem Bau eines Netzes von Häfen und Segelboothalten – sagt Wasil.
Der Wassertransport verlangt auch die Verbesserung des Hochwasserschutzes. Er ist auch in ökologischer Hinsicht dem Straßentransport (viel geringere CO2-Emissionen) und dem Schienentransport überlegen.

Es fließen Milliarden Zloty
Die geschätzten Kosten für die Modernisierung der Wasserwege unterscheiden sich hinsichtlich der Regulierungsvarianten. Der Oder-Wasserstraße zusammen mit dem Gleiwitzer Kanal und die Verbindung von Oder und Donau beträgt zwischen 16,5 und 22,6 Mrd. Zloty. Der untere und mittlere Weichsel-Abschnitt von Warschau bis Danzig kann etwa 31,5 Mrd. Zloty aufsaugen, der Schlesische Kanal ungefähr 11 Mrd. Zloty und die Wasserstraße Warschau- Brześć von 8 bis 25,5 Mrd. Zloty.
Die Investition soll unter anderem von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, der Europäische Investitionsbank oder durch den Europäischen Fond für Strategische Investitionen finanziert werden.

Den Orginal-Artikel kann man nachlesen unter: http://trojmiasto.wyborcza.pl/trojmiasto/1,150681,19912418,barki-z-kontenerami-poplyna-do-portow.html

Mittwoch, 4. Mai 2016

Zeitungsartikel über den Ausbau kleiner und mittlerer Flüsse in Polen

Gazeta Wyborcza vom 14.05.2014

Die Tragödie der polnischen Flüsse. Ohne Sinn vertiefen wir sie, räumen sie aus und umgeben sie mit Wällen

Von  Michał Olszewski, Adam Wajrak
Im ganzen Land werden mit aller Macht kleine und mittlere Flüsse reguliert. Die Folgen sind eine erhöhte Hochwassergefahr, Verwüstung der Natur und das Risiko riesiger finanzieller Verluste

Nowa Biała bei Przełom Białki - Arbeiten beim Wallbau


An der kleinpolnischen Skawa hört man trotz Brutsaison das Geräusch der Kettensägen. Der Weide-Wald-Verband aus Jaroszowice sorgt für Ordnung.  - Ich räume nur den Windbruch auf - versichert der im Wald angetroffene Holzfäller, obwohl es schwer fällt daran zu glauben.

Mitten im wertvollen Auwald sieht man eine breite Einschlagfläche. – das war Gestrüpp! Weidengebüsche, Gebüsche halten das Wasser und den Schlamm, und was für ein Gestank davon ausgeht nach jedem Hochwasser. Was schützt man hier? – wundert sich über unser Interesse Ludwig Fila, der Präsident des Verbandes.

Die richtige Abholzung beginnt jedoch erst noch. Bis zum 15. Dezember möchte das Wasserwirtschaftsamt in Krakau in dem Auen-Gebiet 1,2 Tausend Bäume fällen lassen. Dieser Teil der Investition ist 17 Mio. Zloty wert. Der Auwald verschwindet, am Fluss erscheinen Steinschüttungen: quer zur Anlage von vier Stauschwellen und längst zur Stabilisierung der Ufer.

Das Regionale Wasserwirtschaftsamt erklärt, dass die Arbeiten notwendig sind, weil den Uferbereichen eine Zerstörung drohe. Drei Kilometer stromaufwärts schneidet die Flussaue ein gigantischer Staudamm in Świnna Poręba, erbaut seit 1985. Zu welchem Zweck? Für den Hochwasserschutz der unterhalb gelegenen Gebiete, einschließlich Krakau. Es zeigt sich jedoch, dass der durch den Wasserablass in Gebieten unter dem Staudamm Schäden anrichten kann.

Der Damm arbeitet noch nicht in voller Auslastung, aber seine Auswirkungen sind schon erkennbar. Das Bauwerk verhindert den natürlichen Prozess der Verlagerung von Sohlsedimenten, also von Steinen und Kies. Das Gewässerbett tieft sich ein und das Wasser fließt schneller ab. Der Fluss überschwemmt nicht mehr die angrenzenden Felder so wie früher, aber bei höheren Wasserständen beginnt er den Boden abzutragen – Ludwik Fila erklärt, dass der Fluss innerhalb der vergangenen paar Jahre etwa 20 ha Land mitgenommen hat.

Wenn das Wasser im Brunnen versiegt

Um zu sehen, was an den polnischen Flüssen geschieht, muss man nicht so spektakuläre Investitionen wie den Staudamm in Świnna Poręba betrachten. Seit Jahren dauert bei uns der Ausbau der kleinen und mittleren Flüsse an. Laut den Daten der Umweltschutzorganisation WWF wurden in den Jahren 2010-2013 durch die Meliorationsämter der Wojewodschaften für etwa 16.000 km Flussläufe Ausbaggerungen veranlasst.

Die meisten Arbeiten, ähnlich wie in Świnna Poręba, werden unter der Flagge der Hochwasserbekämpfung durchgeführt. – Die Maßnahmen bewirken meistens den gegenteiligen Effekt, als den beabsichtigten. Sie verwüsten nicht nur die Landschaft und die Natur, sondern sie führen auch zu wirtschaftlichen Verluste, mindestens solche wie der Verlust von Bodenfruchtbarkeit oder schlechtere Wasserqualität – sagt Dr. Przemysław Nawrocki vom WWF, Spezialist im Bereich Schutz von Flussökosystemen.

Laut Prof. Roman Zurek, ein Naturschützer des Naturschutzinstituts PAN, beklagen sich 70% der kleinpolnischen Gemeinden über die Absenkung der Grundwasserstände. – Einer der Ursachen sind die hydrotechnischen Arbeiten. Unbedachte Eingriffe bewirken Tiefenerosion und die Austrocknung von Flussablagerungen. Danach wundern sich die Leute, dass ihnen das Wasser im Brunnen versiegt oder dass die Überschwemmung größere Schäden verursacht – sagt der Wissenschaftler.

Wir bedanken uns beim Biber

Komplett natürliche Flüsse gibt es in Polen kaum. Die meisten wurden in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts reguliert, als auf landwirtschaftlichen Flächen das Problem der Überfluss an Wasser war und nicht sein Mangel. Ein regulierter Fluss gewinnt nie wieder seinen völlig ursprünglichen Charakter zurück, aber er kann viele naturnahe Eigenschaften zurückerlangen. – Im Fall der Bergflüsse, in denen die Hochwasser gewaltige Kräfte haben, kann der natürliche Charakter sich relativ schnell wieder einstellen, innerhalb weniger Jahre. Wenn die Ufer nicht betoniert sind, reichen bereits ein oder zwei solide Hochwasser. Im Fall der Niederungsflüsse kann der Prozess zur Einstellung eines natürlichen und morphologischen Gleichgewichts aus eigener Kraft mehrere Jahrzehnte dauern oder nie wieder eintreten – erklärt Dr. Mateusz Grygoruk von der Warschauer Universität für Life Science (SGGW).

Während man im Westen Europas viele Flüsse unter Aufwand riesiger Finanzmittel renaturiert, haben wir das gewissenmaßen als Geschenk bekommen. Aus Geldmangel gewannen viele kleine Flüsse ihre natürlichen Eigenschaften zurück. Eine Menge gute Arbeit hat der Biber geleistet, der Dämme baut, die bewirkten, dass der Fluss zu mäandrieren begonnen hat. Der Biber hat auch viele Ufer zerwühlt und ihren damit ihren natürlichen Charakter verliehen.

Große Hochwasser sowie der Beitritt Polens zur EU bewirkten, dass im Land sehr viel Geld für neue Flussregulationen sowie zur baulichen Wiederherstellung der sich bereits von selbst renaturierten Flüssen, zur Verfügung steht. Die hydrotechnischen Arbeiten verliefen in einem einmaligen Ausmaß.

Nach der Flut im Jahr 2001 hat die Europäische Investitionsbank Polen 250 Mio. € Darlehen für den Wiederaufbau von beschädigten Wasseranlagen bereitgestellt. Zusammen mit der eigenen Einlage ergeben sich 385 Mio. €. Von diesem Geld entstanden im ganzen Land u.a. Tausend kleine Wasser-Projekte, die zum Teil Weiden, Wälder und Brachen vor Überschwemmungen schützen. – Anstatt ein Entschädigungssystem für Landwirte aufzubauen, deren Felder in Überflutungsbereichen liegen, wählte man in Polen schwere und teure Methoden, die unser natürliches Erbe zerstören – bemerkt Prof. Roman Żurek.

Fischereiliches Ödland

Die Ergebnisse der Meliorationsarbeiten sieht man sogar an der relativ kleinen Łydynia, die in der Gegend von Ciechanow in Mazowien (Region um Warschau) fließt. Der Polnische Anglerverband gab eine Expertise in Auftrag, die feststellen sollte, welche Auswirkungen die Melioration auf die in ihr lebenden Fische hatte. Im Jahr 2005, also ein halbes Jahr vor dem Beginn der Arbeiten an dem über 500 m langem Abschnitt, wurden dort 852 Fische, die zu 13 Arten gehören, festgestellt. Die Gesamtmasse der gefangenen Fische betrug ca. 7 kg, was umgerechnet auf einen ha Wasserfläche 33,5 kg entspricht. Dort lebten u.a. Hecht, Rotauge, Aland, Flussbarsch, Bachforelle, Döbel, Gründling, Bachschmerle und Neunstachliger Stichling.
Nach den Meliorationsarbeiten im April 2008 wurde an demselben Abschnitt ein Kontrollfang durchgeführt. Es zeigte sich, dass statt der 13 Fischarten nur noch 4 vorkamen. Die Masse der Fische pro Hektar fiel von 33 kg auf einen halben kg. Es verschwanden die ökonomisch wertvollen Arten sowie die, die unter Schutz stehen.
Die Folgen der Regulation werden noch viele weitere Jahre sichtbar sein. Die Łydynia ist zu einem Angler-wirtschaftlichem  Ödland geworden – resumiert der Autor der Untersuchung Prof. Wiesław Wiśniewolski von dem Binnenfischerei-Institut.

Die Ner ist ein mittelgroßer Fluss mit einer Länge von 130 km, der durch die Wojewodschaften Wielkopolski und Lodzki fließt. Einige feuchte Wiesen entlang dieses Flusses sind bzw. waren ein Paradies für Vögel. Im Herbst 2007 fuhren die Bagger in das Flussbett. Der Sohle wurde teilweise um bis zu 1,5 m abgesenkt. Der Wasserspiegel fiel und mit ihm flogen die am Fluss brütenden Vögel Hals über Kopf davon. – Im Jahr 2008 halbierte sich im Durchschnitt die Anzahl von 29 Feuchtwiesen-Arten. Gänzlich zogen sich zurück: Haubentaucher, Tüpfelsumpfhuhn, Lachmöwe, Weißbart-Seeschwalbe, Trauerseeschwalbe und Schwarzhalstaucher. Im Jahr 2009 war es noch schlimmer – errechnete Dr. Przemysław Chylarecki von der Allpolnischen Vogelschutz-Gesellschaft (OTOP). Die Gesellschaft erklärte, dass die Arbeiten an der Ner einen erheblichen Schaden für die Umwelt verursachten. Das Verfahren in dieser Angelegenheit läuft noch.

Viele durchgeführte Arbeiten an kleinen Flüssen wirken natürlich harmlos im Vergleich zu dem, was an der Ner oder an der Łydynia geschehen ist. Was ist so schlecht daran, wenn ein Bagger den Fluss um einige Zentimeter vertieft und etwas Mulm entnimmt? In der Praxis bedeutet das die Zerstörung von vielen Kleinstlebensräumen und eine Beschleunigung des Abflusses. Richtig, dem Bauern überschwemmt nicht die Wiese, aber das Risiko, dass ein Hochwasser das Dorf oder die Stadt flussabwärts gefährdet ist bedeutend größer.
 
Wenn es keine Eintagsfliegen gibt

Darüber wie kleine polnische Flüsse aus der Vogelperspektive aussehen, erzählt Dr. Przemysław Nawrocki vom WWF: - Es entsteht ein Projekt, meistens ist der Vorwand die Notwendigkeit der Grundräumung um ein Gebiet vor Überflutungen zu schützen. Bei dieser Gelegenheit kann man das Flussbett begradigen und an den Ufern Wälle anlegen. Dadurch entsteht anstatt eines Flusses eine Rinne. Und selbst wenn an der regulierten Stelle das Wasser nicht über die Ufer tritt, dann beschleunigt es sich bei hohen Wasserständen und nimmt sich was ihm gehört in dem darunter gelegenen Abschnitt.

Was nach solchen Eingriffen bleibt, zeigt das Beispiel der zwischen Feldern fließenden Śliny in der Wojewodschaft Podlaski. Nach dem Auftrag zur Ausbaggerung durch das Meliorationsamt (WZMiUW) haben Angler und Naturschützer untersucht wie sich das auf das Ökosystem auswirkt. – Die Ergebnisse waren katastrophal, erzählt Jerzy Łucki, der Direktor des Polnischen Angler-Verbands aus Bialystok. Die Dichte der Wirbellosen verringerte sich um 80%, es wurde eine große Population geschützter Neunaugen vernichtet. In dem Fluss verschwanden auch die Eintagsfliegen und wo es keine Eintagsfliegen gibt, verliert die Forelle ein Teil ihrer Nahrungsgrundlage. Obwohl wir seit Jahren einen Fischbesatz durchführen!

Ungewöhnlich wertvolle Auenwälder, wie der an der Skawa, fallen den hydrotechnischen Arbeiten zum Opfer. Man kann sie mit Schwämmen vergleichen, die das Wasser in nassen Perioden aufsaugen, um es in Trockenzeiten wieder abzugeben, oder mit einer natürlichen Kläranlage, sie halten nämlich Pestizide, Phosphate und Stickstoff fest. Sie verlangsamen auch eine Hochwasserwelle. Trotzdem kommen sie unter das Beil.

Was antworten die Melioraten auf diese Vorwürfe? Piotr Michaluk, der Vertreter des Direktors des Meliorationsamts von Warschau: - Wir befinden uns zwischen Hammer und Amboss. Auf der einen Seite die Naturschützer, die uns am liebsten jegliche Arbeiten verbieten würden, auf der anderen Seite haben wir die lokale Bevölkerung und die Landwirte, die ihr Land schützen möchten. Das Gesetz über öffentliche Ausschreibungen drängt uns die allerbilligsten Projekte zu suchen, und Projekte, die die restriktiven Umwelt-Anforderungen erfüllen, sind sehr teuer. Wir sind keine Feinde der Natur, aber wir stellen uns auch keine Situation vor, in der wir nichts tun.

Kostspielige Weiden

Außer dem Geld der Europäischen Investitionsbank erhielt Polen auch riesige EU-Mittel. Ihr Verbleib behält die Regierung jedoch als Staatsgeheimnis. Seit über einem Jahr laufen intensive Verhandlungen für Mittel in Höhe von 1,5 Mrd. Zloty, die für die Hochwasserschutz-Politik vorgesehen sind. Aus den Dokumenten, an die wir gelangten, geht hervor, dass die Europäische Kommission Polen anachronistische Methoden im Kampf mit dem Wasser und Missachtung der EU-Direktiven vorwirft, die eindeutig beschreiben, wie der Hochwasserschutz mit möglichst geringen Schäden für die Umwelt realisiert werden soll. Die Zahlung aus dem Fond ist nicht nur deswegen ausgesetzt, weil von Warschau nach Brüssel keine Anträge zur Erstattung der getragenen Kosten mehr fließen. Noch mehr, Polen droht eine Geld-Strafe – im Europäischen Gerichtshof wartet man auf die Bearbeitung der durch die EU-Kommission eingereichten Klage. Die EU-Beamten warten seit 2008 auf die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie. Von der Höhe der Strafe zeugt ein ähnlicher Antrag – im Fall der Erneuerbare-Energien-Richtlinie; die Strafe kann in diesem Fall 133.000 € pro Tag Verzögerung bis zur Aufnahme der EU-Regulation betragen.

Den Fluss speisen
 
Der Gewässerausbau hat normalerweise die Akzeptanz der angrenzenden Bewohner. – Wir können gar nicht warten, bis die Arbeiten hier beginnen- sagt Ludwig Fila aus Świnna Poręba. – Wenn stärkerer Regen kommt, zittern wir, ob uns die Häuser nicht bis zum Dach überschwemmen.

Ein nachhaltigeres Verhältnis zu den Flüssen hat mit vielen Widerständen zu kämpfen. Der kleinpolnische Wojewode Jerzy Miller, der das Hochwasserschutz-Programm im Einzugsgebiet der Oberen Weichsel koordiniert, schaute sich kürzlich den Fluss Skawinka genau an. Miller verglich die Kosten für den Bau der geplanten sechs Staubecken am Fluss mit den Kosten für die Beseitigung der Schäden einer Jahrhundertflut. Es zeigte sich, dass der Bau der Staubecken sechsmal teurer wäre. Wenn jedoch der Wojewode vorschlüge ein Programm zum Ankauf der am meisten durch Hochwasser gefährdeten Immobilien zu starten, würde die lokale Bevölkerung vor Wut hochkochen und denken, dass die Regierung die Dörfer abreißen möchte.

Vielleicht kann die Verwüstung der polnischen Flüsse nur durch eine entschiedene Reaktion der Europäischen Kommission gestoppt werden. Irgendwann müssen wir sicher an vielen Flüssen den natürlichen Charakter wiederherstellen. Die Kosten für die Renaturierung von kleinen Flüssen kann bis zu einer halben Million Zloty pro Fluss-Kilometer betragen, also ein Vielfaches mehr, als man heute für ihre Zerstörung ausgibt.

Laut dem Bericht des WWF werden, wenn die Meliorationsarbeiten nicht gestoppt werden, bis zum Jahr 2015 insgesamt 27.000 km Flüsse vertieft worden sein. Das bedeutet jedoch, dass das Wasser noch schneller abfließt und die Auswirkungen von Dürre und Hochwasser noch deutlicher zeigen werden als bereits jetzt.



Gibt es an den polnischen Flüssen einen Kompromiss zwischen den Bedürfnissen der Anwohner und der Natur möglich?
Für die „Wyborcza” kommentiert Dr. Janusz Żelaziński, Hydrologe, Experte der Umweltkommission des Senats:
Aus ökonomischer Sicht ist es besser die Leute vom Fluss zu entfernen, als sie vor dem Wasser mit Hilfe von Wällen und teuren Regulierungsarbeiten zu schützen. Und das ist die einzige Form eines Kompromisses. Außerhalb der Agglomerationen hat keine andere Option ökonomischen Sinn. Das Problem besteht darin, dass solche Handlungen genauso radikal sind wie die Reform von Balcerowicz. Ohne sie werden jedoch die nächsten Hochwasser noch größere Schäden nach sich ziehen.